Carpendale kritisiert Schlager-Kollegin „Ich liebe Helene Fischer, aber…“
Meinung · Der Sänger Howard Carpendale findet Helene Fischers Show-Auftritte zu sexy und gibt ihrem Erfolgslied „Atemlos“ Mitschuld am Niedergang deutscher Musik. Sind solche Äußerungen sexistisch?

Foto: dpa/Jan Woitas
Howard Carpendale ist seit knapp 60 Jahren erfolgreich im deutschen Showgeschäft, er hat düstere Zeiten mit schweren Erkrankungen hinter sich und war bei „Hotel Matze“ zu Gast, einem Podcast mit Langzeitinterviews, in denen auch Stars oft tief in ihr Seelenleben blicken lassen. In diesem Gespräch ging es unter anderem um die Entwicklung des deutschen Schlager-Geschäfts. Carpendale äußert sich in dieser Passage kritisch über Helene Fischer – und das zieht nun Kreise.
Zunächst ging es um Fischers Superhit „Atemlos“. Für Carpendale hat dieses Lied den Niedergang deutschsprachiger Popmusik eingeläutet, weil in der Folge nur noch Schlager mit dumpfen Beats produziert worden seien. „Das Genre deutsche Musik ist tot“, sagt Carpendale. Er glaubt, dass das an den gleichförmigen Stampfrhythmen liegt, und nennt den Rückgang seiner eigenen Verkaufszahlen. Außerdem kritisiert der Sänger seine Kollegin für ihre Auftritte in knapper Kleidung mit nassen Haaren.
Er liebe Helene Fischer, er habe Duette mit ihr gesungen, sie sei sexy, kein Mann werde sie ablehnen, und sie sei „ein geiler Mensch“, so Carpendale, aber… „Du darfst nicht Sex auf der Bühne verkaufen“, sagt er wie direkt an Helene Fischer gewandt. Sie habe wie viele amerikanische Künstlerinnen das Gefühl bekommen, sie müsse sexier werden. Das habe sie aber nicht nötig.
Ist diese Warnung vor der Sexualisierung des Schlagers am Beispiel der erfolgreichsten deutschen Schlagersängerin nun selbst sexistisch?
Kunst lebt auch von Kritik, von Klartext
Im Podcast entschuldigt sich Carpendale vorauseilend für seine Äußerungen, weil er wisse, dass sie die Helene-Fischer-Fans und ihren Manager empörten. Einerseits geht es also um offen ausgesprochene Kritik unter Showgrößen. Daran ist nichts verwerflich. Im Gegenteil: Nichts ist langweiliger als die ewige Lobhudelei von Stars untereinander. Kunst lebt davon, dass neue Strömungen entstehen – und auch auf Kritik stoßen.
Es ist also erfrischend, wenn einer mal Klartext spricht. Carpendale ist ein Unterhaltungsstar der alten Schule. Er sieht sich selbst als Künstler, der Wert auf Melodien und Texte legt, und hadert daher mit Ballermann-Hits, die nach Konserve klingen. Auch im Schlager-Geschäft gibt es also Generationenkonflikte. Und manche Entwicklungen gefallen auch vielen Fans nicht.
Natürlich darf sich Carpendale auch über die bombastischen Shows seiner Kollegin kritisch äußern. Dass er dabei weniger das Spektakuläre und Artistische von Fischers Supershows anerkennt, mehr die Sexualisierung sieht, ist seine persönliche Einschätzung. Auch Subjektivität ist legitim.
Carpendale spricht ohne Häme, aber von oben herab
In einem Punkt sind Carpendales Äußerungen dennoch problematisch: Zunächst äußert er sich als Künstler, der über eine andere Künstlerin im selben Genre urteilt. Doch als es um die vermeintliche Sexualisierung geht, beurteilt Carpendale plötzlich die sexuelle Ausstrahlung von Fischer. Da urteilt ein Mann über eine Frau, spricht über ihren Körper, nicht über ihre Kunst. Und er tut es von oben herab. Er maßt sich an, ihre Chancen bei den Männern zu kennen und Fischers vermeintlichen „Drang“, sexualisierter aufzutreten. Carpendale spricht Fischer nicht das Recht ab, sich freizügig zu zeigen, tadelt es aber wie ein väterlicher Freund. Also nicht auf Augenhöhe.
Befremdlich an Carpendales Äußerungen ist also nicht, dass er Kritik am modernen Schlager im Stil von Helene Fischer übt. Den darf ein erfahrener Sänger gegen Ende seiner eigenen Laufbahn schlimm finden. Es geht auch nicht um eine Schlammschlacht zwischen Stars. Carpendale spricht ohne Häme, und die Äußerungen sind weit entfernt vom Eklat.
Es geht um das alt bekannte Machtgefälle, das da einmal mehr zu Tage tritt, in den scheinbar wohlmeinenden Worten eines Mannes über eine Frau. Es geht um Ratschläge, die gut gemeint klingen, aber vor allem eines sollen: Demonstrieren, wer vermeintlich das Recht besitzt, sie zu erteilen. Selbst so erfolgreiche Frauen wie Helene Fischer sind davor nicht sicher.