Eine luxuriöse Behausung, viele hübsche Frauen, überall Fernsehkameras, angespannte Stimmung und plötzlich steht Paul Janke in der Tür. Zu Hause an den Fernsehgeräten häufen sich sofort die Griffe zur Programmzeitschrift. Auf den Couchlandschaften der Nation fragt man sich mit latent wachsendem Panikanteil: Läuft „Der Bachelor“ jetzt auf Pro7? Und was ist mit GNTM? Niemand opfert gerne seine Primetime für das Gefühl, man hätte sich für ein Date mit Ryan Gosling zurechtgemacht – und dann kommt Oliver Pocher. Wer sich dann aber die ersten schweren Minuten erfolgreich durch das angebotene Doku-Material quält, wird belohnt: Der blonde Engel mit dem schulterlangen Glatthaar ist gar nicht der ewige Rosenkavalier Janke, sondern „Bergretter“ Sebastian Ströbel.
Spätestens als Heidi Klum auf dem Bildschirm erscheint und traditionell faltenglättend von 24 Skybeamer-Hochdrucklampen ausgeleuchtet eröffnet, heute ginge es um Schauspielerei, darf man sich beruhigt zurücklehnen: Habituell flimmert auch diesen Donnerstag „Germany’s Next Topmodel“ über den Unterföhringer Familiensender. Keine Programm-Revolution also, bei der Joko und Klaas am Ende plötzlich das „Dschungelcamp“ moderieren. Nein, nur eine strategisch durchaus filigran durchdachte Zielgruppenerweiterung. Die „Bergretter“ laufen im ZDF und das Zuschauersegment Ü70 war bei Heidi Klums Diversity-Festspielen bislang deutlich unterrepräsentiert. Ein kongenialer Quotenangriff also auf die Linear-TV-Bestager. Mit dem Zweiten läuft man besser.

Die Ankündigung, im heutigen Fokus ständen Filmszenen, weckt nicht in jedem den schlummernden Oscarpreisträger. Insbesondere Ethan fehlt eindeutig das Hollywood-Gen: „Ich mag Schauspielerei nicht!“ Schon gar nicht, wenn man dafür stundenlang aus dem urban-glamourösen Los Angeles in irgendwelche trostlos menschenleeren Wälder im umliegenden Niemandsland transportiert wird. Etwas versöhnlicher klingt Ethan, als Multitalent Sebastian Ströbel das Thema der Viererteam-Drehs bekanntgibt: Schlecht gelaunte Touristen nerven missmutige Tourguides. Da fühlt Ethan sich plötzlich doch wieder in seinem Element und wittert unverhofft Standortvorteile: „Das ist gut. Ich bin ja meistens immer schlecht gelaunt!“
„Introvertiert, also weinerlich und ängstlich“
Neben dem Talent des ewigen Miesepeters schlummert in Ethan offensichtlich eine weitere virtuose Befähigung: Schöpferische Hochbegabung für spektakuläre Formulierungen. Der Terminus „meistens immer“ beispielsweise bereichert die deutsche Sprache um eine logikbasierte Diktion, fast so schön wie „demnächst sofort“ oder „wahrscheinlich auf jeden Fall“. Um auch ihre eigene Sprachvariationsfähigkeit zu demonstrieren, legt Teamkollegin Svenja mit einer feingeistigen Analogie zum Leinwand-Debüt nach: „Meine Rolle war ja mehr so introvertiert. Also weinerlich und ängstlich!“ Man ahnt, Svenja hat sich akkurat auf ihre Kalter-Kaffeefahrt mit der Modelreisegruppe Klum vorbereitet und einige wichtige Vokabeln vorab gegoogelt. Denn jeder weiß: Introvertierte Menschen sind stets weinerlich und ängstlich. Wissenschaftlich lässt sich dafür leicht Evidenz schaffen, denn auch die Gegenprobe lässt keinen Zweifel offen. Extrovertierte Menschen sind per Definition stets hartgesotten und mutig. Wobei das ChatGPT-Tool, das Svenja beim GNTM-Vorablehrgang genutzt hat, da womöglich „extrovertiert“ mit „exhibitionistisch“ verwechselt hat. Sein zartes Gebälk mit Vorliebe ungefragt zur Schau zu stellen, das ist jedenfalls mit Sicherheit mutig. Vor allem, weil es strafbar ist.

Stichwort strafbar. Seit zwei Wochen hatten sich Kevin, Felix, Canel und Katharina von der Restbesatzung des Quotendampfers GNTM abgesetzt und hochrangige Laufstegjobs auf den Modewochen Paris und Berlin absolviert. Das L.A.-Comeback der Fashion-Week-Helden lässt Partyspendierhose Klum gebührend feiern und lädt zum Überraschungs-Sunset-Dinner. Wobei das Angebot an fester Nahrung dabei überschaubarer ausfällt als Donald Trumps Erfolgsbilanz auf dem Zolldampfer ins Steuereinnahmenglück. In erster Linie dient die abendliche Zusammenkunft zur mittelsubtilen Promotion einer Energydrink-Marke, die inzwischen auch diverse Fußballclubs unterhält. Dabei räumt Pro7 dem Energy-Drink mehr Sendezeit ein als allen Models zusammen. Verständlich. Die inzwischen in mannigfaltigen Geschmacksrichtungen feilgebotene Taurin-Plörre kann jede Unterstützung gebrauchen.
„Kevin strahlt so eine Alpha Male Energy aus!“
Bei diesen geschmacklichen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass die Modelaspiranten sich ihre Gourmet-Momente abseits des Getränkeangebots suchen. Lisa etwa zelebriert ihre Freude über die Rückkehr von Kevin ähnlich subtil wie Pro7 die über Sponsoring-Zuwendungen eines Energy-Drink-Herstellers: „Kevin strahlt so eine Alpha Male Energy aus!“ Diese Kategorisierung kommt überraschender als ein plusquamperfektfreier Satz von Heidi Klum. Besorgt fragt man sich: Hat Lisa womöglich ihre Hörfähigkeit verloren? Denn wer Kevin in den letzten Wochen mal über sich selbst reden gehört hat (und andere Themen sind im Kommunikationskosmos der menschgewordenen Atze-Schröder-Frisur-Hommage im Prinzip nicht vorgesehen), dem müsste aufgefallen sein, dass Kevins Alpha-Male-Energy ungefähr so ausgeprägt ist, wie die Titelchancen von Borussia Dortmund. Dennoch bildet sich umgehend eine Traube hochinteressierter Mitkandidaten, denen Kevin haarklein erläutern soll, wie es ihm auf den Fashion Weeks erging. Da lässt sich der Julian Brandt der Malemodels natürlich nicht lange bitten und berichtet detailgetreu: „Wir waren in Paris und sind ein bisschen gelaufen!“ Ein abendfüllender Reisebericht, wie er packender kaum hätte vorgetragen werden können. Sein offensichtliches Unvermögen im Rekapitulieren seiner Erfolgstour über die Laufstege der internationalen Modewochen macht er aber wieder wett, indem er Paris konsequent „Pärris“ ausspricht.

Statt Hollywood-Stimmung kommt bei einigen Male-Model-Kollegen eher Anti-Kevinismus auf. Kevin bewegt sich im Modelloft ausschließlich oberkörperfrei. Das gefällt eventuell Lisa, den anderen nicht so sehr. Samuel etwa stellt fest: „Nackter Oberköper, das mache ich zu Hause auch. Aber würde ich nicht machen mit 22 anderen im Haus!“ Gut, eigentlich sind es 21 andere, denn Kevin muss sich ja nicht selbst bei seiner Bauchmuskelshow beobachten, aber andererseits: Es wird ja auch ein Topmodel gesucht und kein Taschenrechner. Der Missmut auf Kevin wird noch verstärkt, weil der FKK (Frei-Körper-Kevin) zusätzlich auch noch gerne aufwändig kocht (nur für sich allein versteht sich) und die Küche anschließend komplett unaufgeräumt für die Nachwelt hinterlässt. Ein sichtlich genervter Eliob wertet das als „Respektlos uns allen gegenüber“, vermutet aber: „Das considered der gar nicht!“ Eine stabile 7 auf der Thomas-Hayo-Denglish-Skala von 1 bis 10. Diese Kritik perlt am oberkörperstolzen Kevin allerdings ab: „Ich bin hier nicht, um Freunde zu machen!“ Schade. Wenn er Freunde machen könnte, dann hätte Svenja ja eventuell auch welche.

Als am kommenden Morgen die Dreharbeiten zu den Schauspiel-Bonmots der Kandidaten starten, ist Heidi Klum schon ganz aufgeregt. Zurecht. Die große Frage steht im Raum: Wer wird ihre Nachfolgerin als Hollywood´s Favourite Actingmodel? Da rangiert Klum nämlich nach Auftritten in „Desperate Housewives“, „How I met your Mother“, „Der Teufel trägt Prada“, „Zoolander“ oder „Sex and the City“, bei denen sie vornehmlich sich selbst spielte, noch weiter oben in der Rangliste als Friedrich Merz auf der Beliebtheitsskala für Berufspolitiker. Auch Gastjuror, Schauspielikone und Hobbyregisseur Sebastian Ströbel ist da bereits auf Betriebstemperatur und erläutert: „Wenn du dich bereit erklärst, etwas zu machen, dann musst du auch dein Herz mitbringen!“ Ein wilder Ritt durch die Poesielaben-Romantik esoterikverrückter Neuntklässler. Wobei zumindest die anatomische Facette der Aussage korrekt zu sein scheint. Es ist davon auszugehen, dass Models, die ihr Herz nicht mitbringen, grundsätzlich eher einen Standortnachteil haben. Vor allem medizinisch betrachtet.
Touristentour durch Los Angeles zum “Fame of Walk“
Kaum fertiggedreht, lässt Klum ihre Horde Freizeitmodels einen Tag die touristischen Attraktionen ihrer aktuellen Wahlheimat Los Angeles erkunden. Die Gruppe um Josy und Ethan entdeckt dabei sogar den legendären „Fame of Walk“. Eine Sehenswürdigkeit, fast so berühmt wie das State Empire Building, Rush Mountmore, die Mountain Rockies oder die Gate Golden Bridge. Anschließend geht es für die Damen des Modelhauses nahtlos weiter zum Casting für ein bekanntes Lingerie-Label. Wenn ich alles richtig gehört habe, wurde es von der italienischen Damenunterwäsche-Designerin Inti Missimi gegründet. Entsprechend enthusiastisch starten die Kandidatinnen in den Tag. Zur Vorbereitung auf den womöglich wichtigsten Job der Staffel skandieren sie bereits im Penthouse, im Aufzug, im Foyer und im Shuttle zur Casting-Location etwa 483 mal den Namen „Intimissimi”.

Hoffentlich hält sich die Euphorie, denn als ein italienisches Unternehmen für feine Wäsche und damit als Konkurrenz für das amerikanische Vorzeige-Unternehmen Victoria´s Secret ist es wahrscheinlich, dass Donald Trump zeitnah 135 Prozent Sondersteuern auf Produkte von Intimissimi verhängt. Von dieser Gefahr ist am Set zum Glück noch nichts zu spüren. Die GNTM-Beauftragte von Intimissimi erläutert freudestrahlend das Konzept des Tages: „Wir haben für jede ein Unterwäsche-Set vorbereitet, bestehend aus BH und Slip!“ Daran kann man auch das Alleinstellungsmerkmal von Intimissimi ablesen. Unterwäsche-Sets bestehen bei Konkurrenz-Unternehmen wie Hunky Moeller oder Lap Erla ja zumeist aus Bademütze und Bauchtasche. Das macht auch Zoe ganz wuschig: „Der erste Gedanke nach meinem Umstyling war ja auch: Passe ich jetzt überhaupt noch in Intimissimi?“ Eine berechtigte Frage, denn mit Zoes neuem Kurzhaarschnitt, wie soll sie da einen Slip und einen BH tragen können?
Auch Evas Sprachzentrum operiert durch die Vorfreudendynamik leicht untertourig: „Das ist mein absoluter Traum! Ich liebe die Marke, sie steht für Femimimität!“ MiMiMi und Feminismus, das überzeugt. Eva bekommt überraschend den Job! Nach den letzten Wochen hatte sich nicht abgezeichnet, dass überhaupt noch mal jemand anders als Daniela einen Job ergattern würde. Nun setzt also Eva das Konzept von Intimissimi um: „Wir wollen zeigen, dass Intimissimi den perfekten BH für jede Frau hat!“ Vermutlich auch der Grund, warum Intimissimi mit genau einem einzigen Model shootet. Das Ergebnis stellt die Intimissimi-Statthalterin dennoch nachhaltig zufrieden: „Eva hat das super gemacht. Man hat gesehen, wie sie von Look zu Look noch besser wurde!“ Eva ist gerührt und beteuert: „Das kann ich nur zurückgeben!“ Toll! Intimissimi ist auch bei jedem Look noch besser geworden.

In dieser Woche sind offenbar ziemlich viele Berge zu retten, Sebastian Ströbel jedenfalls ist am nächsten Tag immer noch da. Gemeinsam mit Paris Jackson überwacht er als Gastjuror den Final Walk. Viel Spektakuläres passiert dabei nicht mehr. Außer vielleicht, dass Heidi Klum Eliob ein Drogenproblem unterstellt: „Ich kann sehen, wie du nach der nächsten Line in deinem Kopf suchst!“ In die nächste Runde kommt er trotzdem. Noch 2020 wären Lijana und Larissa um ein Haar wegen einer Piccolo-Flasche Fuselsekt rausgeflogen, hätten sie sich nicht mit einer Erdbeerrolle bei Thomas Hayo freigebacken. Heute wird man offenbar nicht mal mehr nach Hause geschickt, wenn man mehr Kokain konsumiert als Charlie Sheen und Christoph Daum zusammen. Am Ende hat dann Ethan nicht nur „Keinen Bock“ sondern vor allem kein Foto und fliegt nach Hause. Wer ihm kommende Woche folgt, verrate ich hier nächsten Freitag. Bis dann.