Am Ende tauchte im Netz ein Video auf, in dem Aussagen aus der Pressekonferenz mit den aufwändig gedrehten Bildern aus dem Werbefilm zusammengeschnitten waren. Das Ganze wirkte so kunstvoll, dass es wie ein Imagefilm für Land, Leute, vor allem aber die Regierung und den Präsidenten rüberkam. Für Lukaschenkos Propaganda ein gefundenes Fressen, auch wenn sich Schweiger von dem Video inzwischen aufgrund von Kritik distanziert hat – Teile der Pressekonferenz seien aus dem Kontext gerissen worden, um Botschaften zu unterstützen, die “weder seinen Überzeugungen noch seinen Absichten” entsprächen, teilte er auf Instagram mit.
…politische Gefangene darben im Knast
Ganze andere Bilder sah man nur wenige Tage nach Schweigers Pressekonferenz auf dem X-Account von Tatjana Chomitsch. Darauf waren ihre Schwester zu sehen, die mittlerweile weltbekannte inhaftierte Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa, und ihr Vater, lächelnd in inniger Umarmung.
“Unserem Vater wurde endlich erlaubt, Maryja zu besuchen. Ich kann es nicht glauben”, schrieb Chomitsch dazu. Den letzten Kontakt zu Außenwelt und Familie hatte Kolesnikowa vor über 600 Tagen gehabt. Machthaber Alexander Lukaschenko hatte zuletzt Dutzende Gefangene freigelassen und sich offen gezeigt, auch Kolesnikowa gehen zu lassen. Allerdings müsste sie dafür ein Gnadengesuch an den Politiker schreiben.
Da ist er also wieder: Alexander Grigoriewitsch Lukaschenko in seiner beliebtesten Rolle, als “Batka”, also “Väterchen der Nation”. Mal streng zu seinen “Kindern”, sogar mit der Peitsche in der Hand, mal gütig und verzeihend. Und zwar zum richtigen Zeitpunkt. Denn 2025 finden Präsidentschaftswahlen in Belarus statt.
…und der Diktator lässt sich wiederwählen
Eigentlich würde die sechste Amtszeit von Lukaschenko noch bis Ende Juli des kommenden Jahres andauern. Nun startet der Präsidentschaftswahlkampf in Belarus aber schon sechs Monate früher als geplant – als Wahltermin ist der 26. Januar festgelegt.
Die offizielle Begründung für den ungewöhnlichen Schritt gab der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Igor Karpenko, bekannt. Es sei einfacher, den neuen “fünfjährigen sozioökonomischen Entwicklungszyklus” mit einem wiedergewählten Staatschef einzuleiten. In Wahrheit dürfte die vorgezogene Wahl jedoch andere Gründe haben. Einer davon: Lukaschenkos Trauma aus dem Jahr 2020, als nach der gefälschten Präsidentschaftswahl das Volk massenhaft auf die Straße gegangen war.
Lukaschenko möchte eine Wiederholung dieses Szenarios unbedingt vermeiden – auch wenn die Opposition eigentlich so schwach ist wie noch nie. Im Gegensatz zu allen anderen Wahlen seit 1998, die allesamt mehr oder weniger aufwändig gefälscht wurden, muss dieses Mal kein allzu großes Theater um den Urnengang gemacht werden. Bei früheren Wahlen mussten Gegenkandidaten immer wieder mit Kampagnen und Verunglimpfungen diskreditiert, inhaftiert und zur Emigration gezwungen werden – inzwischen sitzen aber alle schon im Gefängnis oder leben im Ausland.
“Gegenkandidaten” loben Lukaschenko
Wie absurd das Wahlkampfgeschehen mittlerweile ist, beweist die Registrierung der “Gegenkandidaten”, die sich in den letzten Tagen vollzog. Einer von ihnen ist Alex Haidukewitsch, Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei, die Lukaschenko bereits seit 1994 unterstützt. Auch Alexander Hitsniak, Vorsitzender der Republikanischen Partei, gibt sich unumwunden als Lukaschenko-Freund zu erkennen. Er sagte anlässlich seiner Registrierung: “Lukaschenko ist die richtige Wahl für das Präsidentenamt.”
Eine weitere “Kandidatin” ist Olga Tschemodanowa, eine ehemalige Sprecherin des Innenministeriums. Auch sie sagte, sie unterstütze den Präsidenten voll und ganz. Erstaunliche Worte aus dem Mund angeblicher Herausforderer.
Lukaschenko sitzt also fest im Sattel. Trotzdem wittert der Diktator überall feindliche Intrigen. So instruierte er Ende September seine Funktionäre: “Glaubt ja nicht, dass wir reinen Tisch gemacht haben, wie manche sagen. Diejenigen, die wir erwischen wollten, sind abgehauen. Ist ihr gutes Recht, sollen sie doch. Aber wir müssen wachsam bleiben.” Also lieber beeilen, bevor die Feinde doch noch hinterrücks etwas aushecken. Und eine Wahl im Wintermonat Januar, der in Belarus noch richtig kalt sein kann, reduziert das Risiko von Unruhen und Massenprotesten – bei Minusgraden würden weniger Menschen auf die Straße gehen, so das mögliche Kalkül.
Will Lukaschenko einen Frieden vermitteln?
Einige Experten führen die Eile bei der Abhaltung der Wahl auch auf Lukaschenkos Wunsch zurück, seine innenpolitische Position vor möglichen Verhandlungen über Russlands Krieg gegen die Ukraine zu sichern. Der Politanalyst Waleri Karbalewitsch (seit 2021 im Exil, davor beim unabhängigen Minsker Analysezentrum “Strategie” tätig) meinte, Lukaschenko könnte eine Rolle bei zukünftigen Friedensverhandlungen ins Auge fassen. Ein anderer Politikexperte, Alexander Friedman (Universität des Saarlandes), glaubt, dass die vorgezogenen Wahlen eine Vorbereitung auf eine mögliche Eskalation des Konflikts sein könnten.
Die im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja verurteilte die Wahl als “Farce”. In einer gemeinsamen Erklärung mit ihrem Schattenkabinett und dem Koordinationsrat der Opposition forderte Tichanowskaja ihre Anhänger auf, aus Protest “gegen alle” auf dem Stimmzettel zu stimmen. Belarusische politische Analysten sind der Ansicht, dass diese Taktik zwar Lukaschenkos Wiederwahl nicht verhindern wird, aber für die Wähler die einzige sichere Möglichkeit darstellt, ihren Widerstand zu bekunden.
Der Kreml sichert Hilfe bei Protesten zu
Russland hat bereits seine Unterstützung für die Kandidatur Lukaschenkos bekundet. “Wir werden die Entwicklungen des Wahlkampfs auf jeden Fall sehr genau verfolgen”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS. Zuvor hatte der russische Botschafter in Belarus, Boris Gryslow, erklärt, Moskau werde Minsk unterstützen, falls es bei den Präsidentschaftswahlen 2025 in Belarus “Versuche gibt, die Lage zu destabilisieren”.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die vor kurzem beschlossene gemeinsame strategische Militärübung “Sapad-2025” (deutsch “Westen-2025”). Was sich dahinter verbirgt, darüber kann nur spekuliert werden, doch schon im Februar 2022 waren russische Truppen unter dem Vorwand eines gemeinsamen Manövers nach Belarus versetzt worden – kurz darauf war der Angriff auf Kiew erfolgt.
Geplantes Manöver erinnert an Kriegsbeginn 2022
Manche fragen sich nun, ob Russland diese Choreographie wiederholen möchte. Wenn ja, sollte Lukaschenko jedenfalls bereits wieder fest im Sattel sitzen, wenn das Manöver beginnt, denn ein Großteil der belarusischen Bevölkerung sieht die russischen Soldaten und Waffen nicht gern im Land. Ein Wahlkampf vor einem solchen Hintergrund dürfte auch einem so erfahrenen Populisten und Manipulator wie Lukaschenko schwerfallen.